Dazwischen Sein

Dazwischen Sein
Raum Klang Körper des Audiospaziergangs
Theoretische Diplomarbeit von Julia Krause
Fachklasse für Intermedia Prof. Alba D’Urbano Betreuung Prof. Dr. Dieter Daniels
Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig November 2010

Inhalt
Einleitung
1. Hörräume Das photographische Hörspiel WEEKEND von Walter Ruttmann 4 • Klang und seine Quelle 6 •

2. Die pure Form Max Neuhaus und das LISTEN Projekt 8 • Hören und Zuhören 9 • Gehen 10 •
3. Das Unsichtbare hören Die Electrical Walks von Christina Kubisch    13    •    Performativität, Aufführung, Rezipient 16 • EXKURS „Hört die anderen Wellen“ Das Radioballett der Gruppe LIGNA 19 • Der öffentliche Raum als Raum des Radios 20 • Aktion (mit zwei Seiten) 22 •
4. Bewegte Fiktion „I want you to walk with me“ Janet Cardiff’s Audiowalks 24 • Der Walkman als Wahrnehmungsmaschine 27 • In-Mitten-Sein 31 •
5. Der Audiospaziergang als Inszenierung Mise-en-scène 33 • Der Körper als Bühne 38 •
6. Dazwischen 40 •
Schluss 44 • Anhang Bibliographie 45 • DVD •

Einleitung
Bei einem Audiospaziergang geht es – verkürzt dargestellt – um das über Kopfhörer vermittelte Rezipieren auditiven Materials in Bewegung. So wenig explizit diese Definition auch ist, um so mehr lassen sich die mannigfaltigen Ausprägungen dieser Form vorstellen.
Der Audiospaziergang nimmt eine eigene gattungsübergreifende Stellung ein. Er tritt facettenreich auf. Er ist ein Hybrid. Zu großen Teilen der Klangkunst zugehörig, sprengt er deren Grenzen. Verstanden als Installation oder als Performance, kann er ebenso als Konzert auftreten. Es gibt Formen die sich der Minimal Art annähern, andere zählen zur Kunst im öffentlichen Raum. Er kann als fiktionale Erzählung erscheinen oder eine politische Aktion manifestieren. Weitere Formen stellen sich als ephemere Skulpturen dar.
Im Folgenden soll es nicht um eine Katalogisierung, Definierung oder Darstellung dieser mannigfaltigen Erscheinungsformen gehen. Vielmehr geht es um eine Analyse verschiedener Aspekte des Audiospaziergangs. Derart sollen die Möglichkeiten der Form aufgezeigt werden. In den Fokus rückt dabei insbesondere die Rolle des Rezipienten.
Die Vorgehensweise dieser Analyse stellt sich als eine Kombination aus Theorie und Praxis dar. Aus einigen künstlerischen Beispielen, welche in kurzen Detailanalysen betrachtet werden, ergibt sich der theoretische Diskurs dieser Arbeit.
Den Beginn macht Walter Ruttmanns photographisches Hörspiel WEEKEND. Mag dieser Beginn zu aller erst verwunderlich sein, so handelt es sich hierbei doch in keinem Fall um einen Audiospaziergang, so sehe ich in der Benutzung des auditiven Materials in WEEKEND doch einen Anknüpfungspunkt. Die grundlegende Fähigkeit von Klang Räume zu erschaffen, wird hier zum ersten Mal explizit genutzt. Noch sitzt der Rezipient zwar fest an einem Platz, so kann aber hier schon, wie aufgezeigt werden wird, von einer sich konstituierenden Bewegung gesprochen werden, welche für die Rezeption unerlässlich ist.
Die puristische Form des LISTEN – Walks von Max Neuhaus bietet im Anschluss daran die Möglichkeit, sich der Parameter von Hören/Zuhören und Gehen zuzuwenden. Klang, das Hören und das Bewegen stehen hier als die Grundfesten der Form im Fokus der Betrachtung.
Die drei folgenden künstlerischen Positionen wenden sich dann der zentralen Rolle des Rezipienten zu. Ausgehend von Christina Kubischs Electrical Walks geht es zu allererst um eine grundlegende Definition der Rezipientenposition. Liegt der Fokus bei Kubisch auf der Wahrnehmung der Rezipienten, ist diesem zugleich ein neuer performativer Handlungsspielraum zu attestieren.
In einem Exkurs über das Künstlerkollektiv LIGNA wird daran anschließend als Variation dieser performativen Funktion, das Möglichkeitsspektrum des Mediums Radio aufgezeigt. Ausgehend von einer individuellen Rezeption, schafft der Radioraum des Radioballett eine ephemere Gemeinschaft bzw. Gruppe. Der Aufführungscharakter, welcher sich schon bei Kubisch finden lässt, wird hierbei noch um die Möglichkeit eines (teilnehmenden) Publikums erweitert.
Als dritte Position stehen Janet Cardiffs Audiowalks als Beispiel für komplexe Arrangements, welche den Rezipienten umfassend in ein fingiertes Geschehen miteinbeziehen. Hier gilt es dem technischen Hilfsmittel des Walkman, wie dem ästhetischen Konzept der Immersion Beachtung zu schenken.
An diesem Punkt wendet sich die vorliegende Arbeit in einem abstrakteren Sinn dem Rezipienten und seiner Rolle innerhalb der Form Audiospaziergang zu. Der Rezipient ist virulenter Part dieser Form. Sein Anteil an der Produktion desselbigen steht außer Frage – einen Audiospaziergang kann man nicht anschauen, man muss ihn erfahren. Erst durch diese bzw. in dieser Erfahrung komplettiert sich die Form.
Es gilt zu untersuchen, in welchen Räumen er sich bewegt und was für einen Charakter sowie welche Auswirkungen seine Aktivität hat. Ist der Rezipient Bild oder Bühne? Was ist der Handlungsspielraum des Rezipienten? Und was hat das wiederum für Rückwirkungen auf den Audiospaziergang als Form?
Diese Untersuchung soll einen Ausblick auf die Möglichkeiten geben, in und mit dieser Form zu arbeiten. Sie soll und kann keine abschließende Diskussion und Definition darstellen, sondern eine Einführung und Anregung darstellen. Insbesondere verstehe ich diese Analyse auch als theoretische Rückbindung an meine eigenen künstlerische Arbeit, welche sich häufig mit Aspekten dieser Rezeptionsform auseinandersetzt. So geht es zumeist darum, mit dem ephemeren Mittel Klang, sowohl eine Inszenierung der Umwelt anzubieten, wie auch den Rezipienten selbst, in seiner Rezeptionshaltung, zu inszenieren.

 

Kommentare sind geschlossen.